Wie wirkt sich Stress auf die Fruchtbarkeit aus?

Gynäkologe Dr Ameet Patki spricht über Faktoren und Szenarios, die Einfluss auf die Fruchtbarkeit in seinen Patientinnen haben, und teilt helfende Strategien mit. Dieser Vortrag wurde auf der 8. Intl META-Health Conference in Mumbai 2017 gehalten:

Übersetzung

„In der gynäkologischen Praxis sind wir uns bewusst, dass Stress immer ein Teil des Problems des Paares ist. Bei Unfruchtbarkeit kann ich sagen, sie wollen nicht morgen ein Kind, sie wollen es gestern! Besonders in Indien ist das ein Problem der ganzen Familie: am Essenstisch diskutieren die Tanten und Schwiegermütter darüber, und die Mutter schleppt dich von Doktor zu Therapeuten und überallhin und das verschlimmert die Sache natürlich noch, je mehr davon wissen und beteiligt sind.

Patienntinnen erzählen mir, wie die Freundin sie anruft und erzählt, dass sie schwanger sei, und darauf bricht sie in Tränen aus: „Ich freue mich für sie, aber es macht mich so traurig, dass ich es versuche und versuche und nichts passiert, während sie schon ihr drittes Kind bekommt!“
Da ist viel Gruppendruck.
Viele Patientinnen sind ansonsten hoch erfolgreich, und sie empfinden ihre Situation als

  • Schlag für das Selbstbewusstsein – sonst sind sie hervorragende Studentinnen oder erfolgreiche Geschäftsfrauen
  • Verletzung der Privatsphäre – häufig ist es verknüpft mit Frigidität und niedrigem Sexualtrieb
  • Angriff auf die Weiblichkeit
  • Beweis der Unfähigkeit
  • Attacke auf das Gerechtigkeitsempfinden
  • schmerzhafte Erinnerung, dass man sich auf nichts verlassen kann
  • Bruch im Fluss des Lebens

Vor allem ist es eine Wunde – für Körper, Geist und Seele.

Stress in Frauen und Männern

Stress würde ich als ein Ereignis definieren, das man als bedrohlich empfindet, und auf das der Körper mit der Kampf- oder Fluchtantwort reagiert, um das Überleben zu sichern. Im Gehirn wird vom Hypothalamus das ACTH ausgeschüttet, das die Nebennierenrinde zur Freisetzung von Katecholaminen und Cortisol aktiviert. Das sind Steroide, und die bringen den ganzen Hormonhaushalt durcheinander.
Die machen, dass Frauen die Eizellen nicht freigeben oder unregelmäßige Perioden haben, und dass Männer wenig Spermien haben.

In den 1940er Jahren war die Unfruchtbarkeit als ein funktionelles Symptom definiert, in den 50er Jahren hielt man es für psychogen. Seit den 90er Jahren und viel Forschung wissen wir, dass es ein psycho-neuro-immunologisches Symptom ist – es hat mit dem Hirn und mit Hormonen zu tun. Und die sind vom psychischen Wohlergehen der Person abhängig.

Auch Männer sind betroffen. Jobs heute verlangen volle Energie und Fokus, Ziele müssen erfüllt werden, und in der Untersuchung gestresster Männer finden wir niedrige Testosteronspiegel, was zusätzlich zu verminderter Spermienzahl auch noch in wenig Sexualtrieb resultiert. Da gab es eine fantastische Studie mit Gefangenen, die auf die Todesstrafe warteten – ihre Spermienproduktion ging auf Null zurück!
Stress beeinflusst also beide Partner. Daher empfehle ich diesen Paaren erst ein paar Beratungsstunden, bevor sie wieder in meine Praxis kommen.

Einige Patientinnen arbeiten in Call-Centers, und zwar in Nachtarbeit bis typischerweise 5 Uhr morgens. Dann gehen sie nach Hause und schlafen zu einer Zeit, wo eigentlich das Sonnenlicht ihre Zirbeldrüse stimulieren sollte. Dann stehen sie um 16 Uhr auf, duschen, essen, und fahren um 19 Uhr wieder zur Arbeit. Die treffen also niemanden, sehen kaum die Sonne, und wenn ich ihr Hormonwerte messe, sind die komplett durcheinander. Häufig verlieren diese Frauen ihre Mens komplett. Das gleiche geschieht mit Langstreckenläuferinnen und Athletinnen. Das ist die Art der Natur, die sich darauf einstellt, dass die Bedingungen für eine Schwangerschaft nicht passen.

Kann Stressabbau fruchtbar machen?

An der Harvard University wurde eine Studie mit 10-Wochen-Programm für Patienten mit nicht erklärbarer Unfruchtbarkeit erstellt, also wenn keine phsischen Ursachen gefunden wurden. Das Programm besteht aus Stressabbau und -bewältigung, Yoga, Ernährungsumstellung, Beratung und Gruppensupport. Mehr als die Hälfte der Patientinnen wurden innerhalb von 6 Monaten schwanger!

Wenn ich Patientinnen habe, die aus physischen oder Altersgründen kein Kind gebären können, rate ich ihnen gern zur Adoption, denn das bringt das Stresslevel herunter. Und ich sage ihnen:“Wenn Sie nun ein Kind adoptieren und in 2 Jahren wiederkommen, werden sie mit der gleichen Behandlung, die jetzt noch nicht bei Ihnen anschlägt, schwanger werden!“ Ich hatte einige Fälle, wo das nach 17 oder 20 Jahren der Unfruchtbarkeit der Fall war!

Stressmanagement

Dafür verweisen wir an die Coaches und Berater weiter, denn in einer geschäftigen Arztpraxis erwarten die Patienten nicht die ruhige Atmosphäre und das Mitgefühl, aber in meiner Praxis sind alle Ärzte auch als Berater ausgebildet. Dabei muss man herausfinden, was man an der stressvollen Situation verändern kann, und was man nicht verändern kann – und wie man sie doch bewältigt. Man baut die physischen und mentalen Ressourcen aus, und vor allem, man muss seine eigene Freundin werden und aufhören, sich selbst zu verurteilen!

Nicht jede Frau muss Kinder haben, auch in Indien gibt es kein Gesetz, was das sagen würde. Man kann es wählen, kinderlos zu bleiben, und trotzdem ein glückliches und erfülltes Leben haben. Ich sage:

„Zeigen Sie mir ein Paar, das unglücklich ist, weil sie kein Kind haben, und ich zeige Ihnen 4 Paare, die unglücklich sind, grade weil sie Kinder haben!“

Es ist ein gutes Gefühl, jemanden aufzuziehen – aber nicht alle eignen sich dafür. Ich habe schon Patientinnen abgewiesen, die wie in Abhängigkeit immer wiederkamen, und versucht, sie aus der negativen Spirale herauszuholen. „Warum verschwenden sie so viel Geld, Zeit und Energie darauf? Gibt es keine anderen Ziele?“ Es ist notwendig, umzufokussieren und zum Leben zurück zu kommen, Spaß zu haben, Liebe zu machen und nicht nur Babies.

Gesellschaftliche Werte und Normen

In Indien bedeutet Unfruchtbarkeit leider noch ein Stigma und kann zu Ausgrenzung führen, besonders ausserhalb der großen Städte. Frauen, die für sich eigentlich gar kein Kind haben wollen, fühlen sich von allen sozialen Aktivitäten ausgeschlossen und würden alleine deshalb alles tun, um ein Kind zu haben.

Ich hatte eine Patientin aus Singapur, die war Sekretärin des Premierministers, und sie sagt:“Ich bin also in dieser Elite, und die 3 Fragen, die man uns stellt sind Was ist dein Job? Was ist dein Pincode? Wie viele Kinder hast du? Und ich komme zu Ihnen, nicht weil ich ein Kind will, sondern weil ich die Frage beantworten muss.“ Das ist so bizarr, und ich fragte sie „Und wer wird sich um Ihr Kind kümmern?“ – „Ich habe genug Geld…“ – „Aber das bedeutet nicht, dass Ihr Kind betreut ist!“ – und ich lehnte es ab, sie zu behandeln. Sie wollte vor dem Ethikkomitee gehört werden und darlegen, welchem sozialen Druck Frauen in vielen Ländern ausgesetzt sind. Und auf dem Land ist die Situation noch schlimmer. Das ist, wie es zu häuslicher Gewalt kommt, zu sexuellem Missbrauch, und diese Frauen sind hilflos, weil ihnen Schuld eingeredet wird. Auch wenn, wie wir wissen, 50% Wahrscheinlichkeit besteht, dass die entscheidenden Faktoren beim Mann liegen.

Deswegen liegt es uns am Herzen, alle Frauen zu informieren, dass sie sich uns Gynäkologen mitteilen! Wir sind da, nicht nur um ihnen zu helfen Kinder zu bekommen, sondern auch, ihnen Belastung zu nehmen. Es gibt viele Selbsthilfegruppen.

Die Richtlinien für Behandlung von Unfruchtbarkeit sind:

  • Behandle es nicht als eine Krankheit
  • Sensibler Umgang ist bei der Hantierung wichtig
  • Beachte die Verletzung der Privatsphäre der Betroffenen
  • Zügige Diagnosestellung ist wichtig
  • Die Prognose muss realistisch eingeschätzt werden

Grenzen der Behandlung

Unfruchtbarkeit ist nicht in jedem Fall revidierbar, das müssen wir akzeptieren. Ich empfehle oft zunächst eine Pause von 6 Monaten ohne Behandlung, am besten weg von all den Gedanken. Und ich sage nie mehr zu einem Paar, dass sie kein Baby haben könnten! Dafür gab es schon zu viele Beispiele, wo es dann eben doch geschah, als sie sich abfanden und dadurch der Stresslevel sank. Aber wir raten wie gesagt auch zur Möglichkeit der Adoption eines Kindes, und ich habe in 25 Jahren Praxis noch nicht ein Ehepaar getroffen, die mit dieser Entscheidung nicht glücklich waren. Sie kommen zu mir und sagen, sie wünschten, sie hätten sich schon vor jahren so entschieden, denn das hätte ihnen einiges Leid und Stress erspart.

Bilder: https://pixabay.com/de/gesch%C3%A4ftstermin-termine-hetze-uhr-378412/
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