Autismus – Die Ursache, die Risikofaktoren und die Auslöser

von Kora Klapp

Ich traute meinen Augen nicht. Auf der Website des US-amerikanischen Center for Disease Control[1] las ich:

„Die Behauptung ‚Impfungen verursachen keinen Autismus‘ ist nicht wissenschaftlich belegt, da keine Studien die Möglichkeit ausschließen konnten, dass Säuglingsimpfungen Autismus auslösen.“

Weiter heißt es:

„Der Anstieg der Autismusprävalenz seit den 1980er-Jahren korreliert mit der Zunahme der Säuglingsimpfungen. Obwohl die Ursachen von Autismus wahrscheinlich vielfältig sind, ist die wissenschaftliche Grundlage, einen potenziellen Faktor vollständig auszuschließen, noch nicht geschaffen.“

Lange Zeit war die Sprache rund um die Entwicklung von Autismus-Spektrum-Störungen unklar und irreführend. Für einen direkten Kausalzusammenhang müssten alle anderen korrelierenden Faktoren ausgeschlossen werden. Alle Geimpften würden in gewissem Maße Autismus entwickeln, was eindeutig nicht der Fall ist. Aus diesem Grund ist die Behauptung „Impfungen sind nicht kausal für Autismus“ weiterhin gültig. Sie sind keine alleinige Ursache. Aber wer würde das erwarten? Es herrscht heute Einigkeit darüber, dass Autismus multifaktoriell bedingt ist. Es gibt Vorbedingungen, genetische und epigenetische Faktoren, sensible Zeitpunkte und Auslöser sowie Faktoren, die die Erkrankung verschlimmern und ihre schwerwiegendsten und pathologischen Varianten hervorrufen können.[2]

Was wird denn genau verursacht?

Selbst die Definition von Autismus ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt hochfunktionale Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten im Autismus-Spektrum, aber auch solche, die nicht in der Lage sind, ein selbstständiges Leben zu führen. Allen Menschen im Autismus-Spektrum gemeinsam ist ein bestimmtes Verhaltensmuster: eine Vorliebe für Fokus auf Details, Schematisierung und Wiederholung sowie eine Tendenz zum Rückzug, verbunden mit einer verminderten Fähigkeit, soziale Signale wahrzunehmen und zu deuten, was zu Unbeholfenheit und Unbehaglichkeit in sozialer Interaktion führt.
Dies spiegelt ein Ungleichgewicht in der Funktionsweise des Gehirns und des Nervensystems wider, meist eine Dominanz der linken Hemisphäre, ein Defizit der rechten Hemisphäre und eine verminderte Vernetzung beider Hirnhälften im Corpus callosum. [3] [4]
Deutlich mehr Jungen als Mädchen erhalten die Diagnose Autismus, etwa im Verhältnis 4:1. Ihr unbalanciertes Gehirn wurde aufgrund der Merkmale, die mit einer Dominanz der linken Hemisphäre oder einem Defizit der rechten Hemisphäre einhergehen, als „extrem männliches Gehirn“ bezeichnet.[5]

Epidemie oder Überdiagnostik?

In vielen Artikeln wird argumentiert, dass ASS eher als Neurodiversität denn als Störung bezeichnet werden sollte, was einer Politik der Nichtdiskriminierung und Inklusion entspricht. Der moderne Wert des technisch-wissenschaftlichen Denkens, das sich auf Messungen und Details konzentriert, sowie der Lebensstil mit wenig Bewegung und der damit einhergehenden Interaktion mit Geräten anstelle von anderen Menschen fördern eine linksdominante Gehirnentwicklung. x Es heißt, Familien mit vielen Intellektuellen hätten ein höheres Risiko, Kinder im Autismus-Spektrum zu bekommen. [6] [7] Und ja, diese Gruppen haben möglicherweise mehr Interesse und besseren Zugang zu allen Angeboten der Gesundheits- und Entwicklungsüberwachung, was zu einer engmaschigeren Kontrolle und mehr Diagnosen führt als früher oder bei Menschen mit weniger Ressourcen und Interesse. Dahingegen zeigt sich in den letzten Jahren, dass die Prävalenz in Familien mit geringerem Einkommen und bei Eltern mit lediglich einem Hauptschulabschluss höher ist.[8]

Greta Thunberg, die bekannte Klimaaktivistin, hat die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung und bezeichnet dies als ihre „Superkraft“. Auch der Milliardär Elon Musk soll Autist sein. Diese Fälle sind zwar „neurodivers“, aber nicht pathologisch. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Zahl der Kinder, die unter autismusbedingten Behinderungen leiden und tägliche Hilfe benötigen, in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat.[9]

Die Rolle der Erbvorlage

Die Erblichkeit von Autismus ist hoch, doch spielen dabei eher epigenetische Faktoren eine Rolle, die die Genexpression beeinflussen, ohne die DNA-Sequenz zu verändern, als sogenannte „Autismus-Gene“. Beispielsweise spielt die DNA-Methylierung (eine biochemische Modifikation) eine entscheidende Rolle bei der Regulation biologischer Prozesse, darunter Entwicklung, Genabschaltung und Reaktionen auf Umweltfaktoren.[10] [11] Eine wegweisende Studie wies charakteristische Veränderungen der Methylierung im Sperma des Vaters während der Schwangerschaft der Mutter nach, deren Kinder später die Diagnose Autismus erhielten.[12]

Autismus beschränkt sich nicht auf neurologische Merkmale. Er geht auch mit typischen Veränderungen biologischer Funktionen einher, wie beispielsweise Veränderungen des Darmmikrobioms, die einem „durchlässigen Darm/Leaky Gut“ entsprechen.[13] Dieser Zustand ist während der frühen Entwicklung des Mikrobioms und des Immunsystems physiologisch [14], führt aber bei anhaltender Persistenz zu chronischen Entzündungen, die wiederum Auswirkungen auf das Gehirn haben – ein sich selbst verstärkender Kreislauf, der durch epigenetische Programmierung ausgelöst wird.[15]

Die Umstände, das äußere und innere Umfeld, bestimmen, ob und wie sich eine Veranlagung für autistische Merkmale durch die neuronale Entwicklung sowie die Immun- und Mitochondrienfunktion auswirkt.

Gehirnentwicklung

Im Vergleich zu Tieren benötigt das menschliche Gehirn unglaublich lange, nämlich über 20 Jahre, um voll funktionsfähig zu werden. Im Mutterleib, in der frühen Kindheit und in der Jugend[16] ist unser Gehirn besonders anfällig für Prägungen und die Entwicklung neurodiverser Merkmale, wie sie beispielsweise im Autismus-Spektrum auftreten. Hormone spielen bereits während der Schwangerschaft eine Rolle: Wenn die Gebärmutter von Testosteron durchflutet ist, steigt das Risiko, dass das Baby mit autistischen Zügen geboren wird. [17] Dies deckt sich mit der Theorie des „extrem männlichen Gehirns“.

Soziale Interaktion gehört zu den ersten Prioritäten in der Entwicklung des menschlichen Gehirns nach der Geburt. Das Überleben von Menschen und anderen Säugetieren hängt von der Bindung zwischen Mutter und Kind ab. Das Erkennen des Gesichts und der Stimme der Mutter, das Gewinnen ihrer Aufmerksamkeit durch Halten und Stillen sowie das Erwidern ihres Lächelns mit einem Lächeln gehören zu den ersten Lernerfahrungen eines Babys. Diese werden in der rechten Hemisphäre verankert. Wird dieser Prozess gestört, fehlt dem Kind die neurologische Grundlage für Empathie und soziale Interaktion.[18]

Bewegung spielt eine zentrale Rolle in der Gehirnentwicklung. Bevor die Großhirnrinde aktiv wird, helfen Stammhirnreflexe dem Baby, sich im Mutterleib zu drehen und sich bei der Geburt herauszubewegen. Sie ermöglichen es dem Baby, an der Brust der Mutter zu saugen, zu greifen, sich zu drehen und auf Schreck zu reagieren. Während das Kind lernt, sich zu bewegen, zu krabbeln und seine Muskeln willkürlich einzusetzen, integriert und ersetzt es die Reflexe, und sein Gehirn wächst enorm.[19] Es entwickelt eine sensorische Karte seines Körpers in der Großhirnrinde, vorwiegend in der rechten Hemisphäre, wo auch die Netzwerke für soziale Bindung angesiedelt sind. Diese sind zusammen der Schlüssel zu unserer Fähigkeit zur Empathie, zum Erfassen der Gefühle anderer, denn wir können dasselbe fühlen![20] [21]

Erst wenn diese Meilensteine erreicht sind, entwickeln sich die linke Hirnhälfte und ihre Spezialgebiete auf einer soliden Grundlage: Dies geschieht im Trotzalter um die drei Jahre, wenn das Kind sich selbst erkundet und Dinge selbstständig tun möchte – im sicheren Schutz der mütterlichen Aufsicht.

Wichtiges soziales Belohnungsnetzwerk im Gehirn ist bei Autisten beeinträchtigt
Diese phasenweise Entwicklung kann durch verschiedene Faktoren gestört werden – von Veränderungen in der Umgebung über die Einschränkung freier, natürlicher Bewegung und Erkundung bis hin zur Überstimulation bestimmter Bereiche, bevor diese reif dafür sind. Frühe Talente oder Defizit – das Gehirn ist aus dem Rhythmus gekommen und arbeitet nicht synchronisiert.

Menschen mit ASS zeigen sowohl frühkindliche Reflexe, die nicht integriert und ersetzt wurden, als auch eine unterentwickelte sensorische rechte Hemisphäre: sie haben möglicherweise das Krabbeln und Purzeln übersprungen und sich direkt auf „fortgeschrittene“ Funktionen der linken Hemisphäre konzentriert. Man denkt unwillkürlich an kleine Technikfreaks…

Die Gehirnentwicklung geht aber Hand in Hand mit der Reifung des Immunsystems und seiner Aktivität.[22]

„Aktivierung des Immunsystems während der neuronalen Entwicklung wird zunehmend mit verschiedenen Fällen neurologischer Funktionsstörungen in Verbindung gebracht.“

Die gute Nachricht ist: Entwicklungsverzögerungen und -ungleichgewichte lassen sich behandeln und trainieren, auch rückwirkend und mit überraschend einfachen, aber effektiven Mitteln. Pathologische Defizite bei Autismus können durch nicht-invasive Behandlungen und Übungen auf verschiedenen Ebenen gelindert werden. [23] Ein Pionier unter den Therapeuten und Forschern ist Dr. Robert Melillo [24], der seine Laufbahn als Vater neurodiverser Kinder begann und für den – wie für uns META-Health-Practitioner – die Anerkennung der Persönlichkeit und der individuellen Talente jedes neurodiversen Menschen ein zentraler Wert ist.

Reaktion auf einen Auslöser

Die Anzeichen von Autismus treten oft spontan in einem bestimmten Alter der sozialen und kognitiven Entwicklung auf. Eltern berichten, dass ihr Kind in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Ereignis den Blickkontakt, die Sprache und die motorischen Fähigkeiten verlor und sich in seiner Entwicklung zurückentwickelte, entsprechend einem Trauma oder einer Hirnverletzung. Wir müssen potenzielle Auslöser beachten und versuchen, sie zu verhindern oder zu reduzieren. Ich habe dies bereits in einem früheren META-Health-Artikel untersucht[25]. Seitdem bin ich auf weitere faszinierende Entdeckungen und Konzepte gestoßen, die Autismus erklären und helfen, die funktionellen Defizite zu überwinden.

Die von Prof. R.K. Naviaux beschriebene zelluläre Gefahrenreaktion (CDR)[26] scheint eine Schlüsselrolle zu spielen, da die purinerge Signalübertragung zwischen Körperzellen – auch Neuronen – dazu führt, dass diese sich bei Bedrohungen wie Umweltgiften, Infektionen, Verletzungen, Stress und Traumata defensiv verhalten. Diese Reaktion ist die erste Phase im Heilungszyklus [27], und umfasst mitochondriale und metabolische Veränderungen, Immunfunktionen und Entzündungen, die das weitere Eindringen und die Ausbreitung des bedrohlichen Erregers verhindern. Dies geht mit einem Energie-/ATP-Verlust einher und führt zwangsläufig zu einer verminderten Kooperation und schließlich zum Stillstand der Entwicklung funktionsfähiger Gewebe. Ich habe die CDR in diesem META-Health-Webinar näher erläutert [28]

Prof. Naviaux und Kollegen führten zudem eine wegweisende Studie an autistischen Jungen durch. Sie fanden heraus, dass die Hemmung der CDR-Signalgebung durch eine niedrige Dosis von Suramin zu bemerkenswerten Veränderungen bei den Kindern hinsichtlich Sprache, sozialer Interaktion und Minderung repetitiver Verhaltensweisen führte. Diese Verbesserungen hielten drei Wochen an und klangen dann wieder ab.[29] Diese Forschung liefert Einblicke in die Mechanismen, die bei ASS aktiv sind [30], und eröffnet Wege mit Potenzial, diese umzukehren und Autismus entgegenzuwirken.

Impfungen sind eins der Mittel, eine gefährdete Bevölkerungsgruppe durch die Stimulation ihrer Immunantwort zu schützen. Für Menschen mit einem starken Immunsystem wären sie eher sinnlos, für solche mit einem bereits überaktiven Immunsystem hingegen potenziell gefährlich.
Bei Säuglingen und Kleinkindern mit ihrer empfindlichen Funktionsentwicklung müssen wir ihre individuellen Voraussetzungen und den Nutzen bzw. die Risiken jeder Maßnahme, so auch Impfungen, im jeweiligen Kontext abwägen und dabei sensible Zeitpunkte beachten. Wie die CDC auf ihrer Website nun korrekt feststellt, ist dies bisher noch nicht zureichend geschehen.


Dieser Artikel entstammt dem META-Health 4 U Blog

Quellen und Referenzen:
[1] https://www.cdc.gov/vaccine-safety/about/autism.html
[2] https://zenodo.org/records/17451259
[3] https://www.drrobertmelillo.com/research/2009-Melillo-Leisman-Autism-RevNeuro-rev220509.pdf
[4] https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2025.1558081/full
[5] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC8328919/
[6] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0890856719302710 [7] https://www.scientificamerican.com/article/children-of-smart-fathers-have-higher-risk-of-autism/
[8] https://www.ncsautism.org/blog//relentless-surge-of-autism-in-california
[9] https://www.ncsautism.org/blog//autism-explosion-2024
[10] https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/1866100
[11] https://www.frontiersin.org/journals/neurology/articles/10.3389/fneur.2015.00107/full
[12] https://www.hopkinsmedicine.org/news/newsroom/news-releases/2023/04/changes-in-fathers-sperm-linked-to-autistic-traits-in-their-children-small-preliminary-study-suggests
[13] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10264341/
[14] https://translational-medicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12967-021-02839-w
[15] https://neurolaunch.com/leaky-gut-autism/
[16] https://www.drrobertmelillo.com/wp-content/uploads/2025/10/brainsci-15-01057-v2.pdf
[17] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC8280339/
[18] https://www.zerotothree.org/resource/distillation/understanding-brain-development-in-babies-and-toddlers/
[19] https://www.drrobertmelillo.com/wp-content/uploads/2025/04/Evaluating-Primitive-Reflexes-in-Early-Childhood-as-a-Potential-Biomarker-for-Developmental-Disabilities.pdf
[20] https://psycnet.apa.org/record/2016-19317-004
[21] https://www.youtube.com/watch?v=XFDTS8qybfo
[22] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9213174/
[23] https://hopebraincenter.com/functional-neurology-autism-spectrum-disorder/
[24] https://usinsider.com/dr-robert-melillo-at-the-forefront-of-brain-health-and-neurodevelopmental-disorders/
[25] https://metahealth4u.com/de/autismus-und-die-darm-hirn-immun-achse/
[26] Naviaux, R.K. Metabolic features of the cell danger response. Mitochondrion 16, 7-17 (2014) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23981537/
[27] https://naviauxlab.ucsd.edu/science-item/healing-and-recovery/
[28] https://metahealth4u.com/de/archaische-biologie-schliesst-eine-verstaendnisluecke/
[29] https://naviauxlab.ucsd.edu/wp-content/uploads/2017/05/Naviaux_et_al-2017-Annals_of_Clinical_and_Translational_Neurology.pdf
[30] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1567724925000935

Bildquellen:
https://www.cdc.gov/vaccine-safety/about/autism.html
https://www.ncsautism.org/blog//autism-explosion-2024
https://med.stanford.edu/news/all-news/2018/07/key-social-reward-circuit-in-the-brain-impaired-in-kids-with-autism.html

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